„Schiri“ Stefan Wienke sagt nach 30 Jahren „Tschüss“
Stefan Wienke
Foto: © Volker Mai
Stefan, warum machst du ausgerechnet jetzt Schluss?
Nach 30 Jahren an der Pfeife habe ich mich entschlossen, selbige an den Nagel zu hängen. Am 30. Oktober wurde ich 56 Jahre alt und gesundheitlich läuft es ohnehin nicht alles rund. Und wegen einem Ehrenamt noch mehr zu riskieren, das wäre fatal.
Gibt es Spiele, an die du dich mit Nachdruck erinnerst?
Ja, da gibt es schon ein paar. Es war in den 90ern und ich musste ein Spiel in der damaligen Bezirksklasse leiten. Das Spiel fand in Uelzen statt. Bereits beim warm machen spürte ich, dass es heute nicht einfach wird. Viele Leute waren da und hier und da gab es bereits vor dem Spiel Anfeindungen. Ich pfiff das Spiel an und bereits nach 10 Sekunden gab es das erste Foul. Geht ja gut los. Der Freistoß wurde von einem in der „Mauer“ stehenden Spieler durch Hochspringen mit der Hand abgewehrt und ich entschied auf Strafstoß, weil der Spieler innerhalb des Strafraumes stand. Der Strafstoß landete am Pfosten und sprang ins Feld zurück. Der vorher den Ball mit der Hand abwehrende Spieler wollte nun den Ball wegschießen, schoss aber den Spieler an, der den Strafstoß ausführte. Von dort aus sprang der Ball ins Tor und ich entschied auf Tor. Nun brannten dem Verteidiger die Sicherungen durch. „Der Stürmer hat den Ball 2-mal berührt, das muss indirekten Freistoß für uns geben“, schrie er mich an. Ich sagte dem Verteidiger in Ruhe, dass zwischendurch ER den Ball berührt hatte. „Das ist bei einem Strafstoß völlig egal, du Penner“, rief er mir zu. Für den „Penner“ verwarnte ich den Verteidiger und wollte seinen Namen wissen. „Du kannst mich am A… lecken“ war seine Antwort, womit er sich seinen Platzverweis redlich verdiente. Sein Spielführer kam auf mich zu und wollte wissen was los sei. Dem musste ich zwar nichts erklären, hab ihm die Situation aber geschildert. Er pflichtete meiner Entscheidung bei. In der Halbzeit kam der Trainer zu mir und bat mich, alles exakt in den Spielbericht zu schreiben. Der des Feldes verwiesene Spieler wurde bereits zu diesem Zeitpunkt aus dem Verein entlassen. Das war ein sehr schönes Erlebnis, denn das Ehrenamt wurde hier nicht mit Füßen getreten.
Ich habe einst gelesen, dass ein Spieler wegen einer roten Karte, die Du ihm gezeigt hast, lange gesperrt wurde. Erinnerst Du Dich noch daran?
Oh ja, daran erinnere ich mich wohl noch in vielen Jahren. Das Spiel fand in Hohnstorf statt und ich wurde assistiert von Anne-Katrin Heuer und Florian Kischel. Kurz vor dem Ende des Spieles foulte ein Thomasburger Spieler seinen Gegenspieler gelbwürdig innerhalb des Strafraums. Ich konnte die Situation ungehindert sehen und entschied sofort auf Strafstoß. Dann schaute ich nach, ob der Spieler bereits von mir verwarnt wurde. In diesem Moment brach ein Hohnstorfer Spieler schreiend zusammen und hielt sich das Gesicht. Ich selber konnte nicht sehen, was geschehen war. Mein Schiedsrichterassistent jedoch hatte das Geschehen beobachtet und lief sofort mit erhobener Fahne auf das Spielfeld und teilte mir mit, dass der Spieler mit der Rückennummer 4 vom Thomasburger SV seinem Gegenspieler den Ellenbogen ins Gesicht gestoßen hatte. Ich verwies danach den Spieler des Feldes. Daraufhin schlug dieser mit dem Ellenbogen in die Richtung meines Gesichts. Einen Schlag ins Gesicht konnte ich nur aufgrund einer schnellen Reaktion vermeiden. Der Ellenbogen traf mich jedoch heftig auf den Brustkorb, so dass ich mehrere Schritte nach hinten machen musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Das Sportgericht hat den Spieler dann für 8 Monate gesperrt. Nie war es so wichtig, dass die Schiedsrichterassistenten auch in einer Spielruhe die Augen auf das Wesentliche richten. Das hatten wir, wie ich es jedes Mal tat, vor dem Spiel auch so abgesprochen.
Und was war damals mit dem Ex-Profi vom HSV?
Oh ha, Du stellst vielleicht Fragen. Damals gab es noch den Verein TSC Winsen. Die hatten an einem Samstagnachmittag zum Derby der Bezirksklasse den MTV Borstel-Sangenstedt zu Gast und ich war der angesetzte Schiri. Das Spiel war gerade 10 Minuten alt, als ein MTV-Spieler seinem Gegenspieler hinterherlief und 2-mal vergeblich versuchte, ihn von hinten zu treten. Der dritte Versuch hat dann geklappt. Der Spieler vom TSC flog weit nach vorne und der MTV-Spieler konnte unmöglich versucht haben, den Ball zu spielen. Meine Entscheidung war also mit dem Pfiff schon gefallen. Ich rief den Spieler zu mir, der das Foul beging und fragte nach dem Namen. „Der steht im Spielbericht“ antwortete er. Ich sagte zu ihm: „Bitte ihren Namen“. Als Antwort kam: „Ich bin Peer Posipal und war mal Bundesliga-Profi und war auch beim HSV“. „Dankeschön“ antwortete ich, „mein Name ist Stefan Wienke und ich bin hier der Schiedsrichter“ und zeigte ihm die rote Karte. Er war außer sich, verließ aber das Spielfeld und ging in die Kabine. Nach dem Spiel wurde mir von beiden Trainern eine sehr gute Leistung attestieret und der Spieler Posipal entschuldigte sich sowohl für sein rohes Spiel, als auch für seine Worte gegen mich. Das hat mir gezeigt, dass man 90 Minuten Gegner sein kann, aber hinterher auch miteinander reden sollte.
Stefan, komm, einen hast du noch, oder?
Ja, das habe ich. Es war praktisch die Einführung des 4. Offiziellen. Sorry, ich muss lachen. Es war im Jahre 1997 im August. Der aus dem damaligen Landkreis Lüneburg stammende Oliver Vogt sollte das NFV Pokalspiel zwischen dem Wolfenbütteler SV – Hannover 96 leiten. Ich hatte einen komplett langweiligen Tag und fuhr mit ihm und seinen beiden Assistenten Ulrich Wessel und Oliver Steinberg zusammen nach Wolfenbüttel zu dem Spiel. Spielerisch war es eher nüchtern und 96 siegte am Ende 3:1. Nach dem Spiel ging es ins Clubheim zum Essen. Auf einmal kamen Gastgebergeschenke und man fragte, wer denn der 4. Mann am Tisch sei. Mir ist nichts Dümmeres eingefallen als zu sagen: „Ich bin der 4. Schiri, falls sich einer der anderen 3 verletzt hätte.“ So bekam ich auch etwas zu essen und ein kleines Gastgebergeschenk aus dem Hause Mast. Auf dem gesamten Rückweg von Wolfenbüttel nach Kirchgellersen haben wir darüber gelacht!
Was gibt es noch zu sagen?
Ich möchte alle Spieler und Zuschauer darum bitten, das Ehrenamt nicht mit Füßen zu treten. Wir Schiedsrichter sind auch nur Menschen. Und Menschen machen auch mal einen Fehler. Das ist dann aber kein Grund, gleich zu treten oder zu schlagen, oder mit Gegenständen zu werfen. Habt alle Spaß und Freude an den Spielen und genießt diese, so lange ihr könnt.
Das Interview führte Volker Mai von Lünesport.de – vielen Dank für die Genehmigung zur Veröffentlichung!
(31.10.2020)